Redaktionelles


Mittwoch, 13. August 2008

Strohgäu Extra


STUTTGARTER ZEITUNG

          Der Elektriker hat mehr als einen Vogel!

S T R O H G Ä U- T Ü F T L E R   Joachim Kärcher aus Hirschlanden beliefert ganz Europa mit Volieren

Ditzingen. Das Strohgäu ist erfinderisch. Aus einer Idee lassen die Schwaben kurzerhand etwas entstehen, was später überall in der Welt gebraucht wird. Der Erfinder selbst bleibt im Hintergrund. In einer Serie stellen wir diese Denker vor.


Von Eberhard Wein


Mancher Bewohner des Pflegeheims Haus Guldenhof in Hirschlanden könnte stundenlang den Wellensittichen im zweiten Stock zuschauen.

 

Doch ehe die fröhliche Vogelfamilie einziehen konnte, mussten sich die Hirschlander Ortsvorsteherin Barbara Radtke und die Vorsitzende des Pflegeheim-Fördervereins, Yvonne Kejcz, auf der Suche nach einer geeigneten Voliere die Hacken ablaufen

 

In einer großen Stuttgarter Zoohandlung kam dann die überraschende Wendung. "Sie brauchen eine Spezialanfertigung", erklärte ihnen der Verkäufer. Aber das sei kein Problem, schließlich habe der Spezialist für solche Fälle sein Geschäft ganz in der Nähe, in Hirschlanden.

 

Da waren die beiden Damen doch ein wenig baff. Joachim Kärcher heißt der Mann, der seine Volieren europaweit an Vogelfreunde, Zoos und Firmen verkauft.

 

In seinem Heimatort ist er bekannt als Elektromeister. Seit 40 Jahren ist der 60-Jährige in diesem Metier tätig, er verlegt Kabel, setzt Steckdosen. Doch das ist längst zu einer Nebenbeschäftigung geworden,

Bild von Joachim Kärcher

Der Gelbbrustara Coco (vorne) und seine Partnerin Sarah sind wichtige Ideengeber von Joachim Foto: Joachim Kärcher

 

seit er vor 25 Jahren ein eigenes Baukastensystem für den Bau von Vogelvolieren erfunden und zum Patent angemeldet hat.

 

Ich hatte einen Vogel, sagt Kärcher, wenn er beschreiben soll, wie er zu seiner ungewöhnlichen Geschäftsidee gekommen ist. Genau genommen war es ein Graupapagei. Irgendwann kam ein zweiter dazu, und aus zwei wurden vier. Wenn eine Frau ein

 

Kind bekommt, sagt der Arzt als erstes, dass der Papagei weg muss. Kärchers waren die Auffangstation, die Vogelfamilie wuchs. Jetzt können wir eh nicht mehr in den Urlaub fahren, sagte Kärchers Frau, und so stieg die Zahl auf bis zu 20 Papageien.

 

Für so viele Vögel musste erst einmal eine geeignete Behausung her. Doch was es auf dem Markt gab, befriedigte Kärcher nicht. "Das war alles zu kompliziert. Man musste bohren. Und wenn man erweitern wollte, war das kaum möglich", sagt Kärcher. Also ging er selbst ans Tüfteln. Die Lösung fand er auf seinem Spezialgebiet, der Elektrotechnik.

Für das Gestänge nimmt er eine Kabelhalter- schiene einfach doppelt. Mit Gleitmuttern werden das Gitter in der gewünschten Größe sowie die Sitzäste ganz flexibel angebracht.

 

"Um den Käfig auseinander- oder zusammenzubauen, braucht man nur einen Sechskant", sagt Joachim Kärcher, der auch seine Futternäpfe patentieren ließ. Wie bei einem Drehkreuz kann man sie herausdrehen und außerhalb des Käfigs befüllen. So etwas kann man nur entwickeln, wenn man selbst solche Tiere hat, sagt Kärcher.

 

Derweil ist aus dem Hobby ein einträglicher Beruf geworden. Kärcher inseriert in Haustierzeitschriften in Deutschland und Frankreich, er bestückt Katzenhotels in Darmstadt und Unna, seine Vogelvolieren stehen in Rechtsanwaltspraxen, Edeleinkaufszentren und in achteckiger Form vor dem Bosch- Schulungszentrum in Korb. Für eine Falkenzucht lieferte er jüngst ein vier Meter hohes und zwölf Meter langes Gehege nach Dubai. Auch die Wilhelma hat für Sonderschauen bereits bei ihm bestellt.

 

In den Guldenhof hat Kärcher natürlich ebenfalls prompt geliefert. Sein eigener Vogelbestand ist inzwischen jedoch auf zwei Gelbbrustaras geschrumpft. Für einen ausgedehnten Urlaub fehlt Kärcher aber immer noch die Zeit. Dafür war er gerade dienstlich in Fuerteventura. Ich war zum Ausmessen bei einem Zoo. Und das ist fast wie Urlaub.